Heute, an Allerseelen, gedenken wir allen in der Familie, die bereits vorausgegangen sind, um zum HERRN heim zu kehren.
Ich bewahre mir ihr lebendiges Andenken im Herzen – gemeinsam Erlebtes, so viele Erzähltes – bis wir uns, so hoffe ich, wieder sehen.
Vorne, sitzend: Johanna Auer-Péronne, meine Urgrossmutter.
Sie stammt von hohem, französisch-deutschen Adel ab, welcher einst in die Schweiz flüchtete, da sie als Hugenotten verfolgt wurden.
Urgrossmama Johanna hatte sieben Kinder!
Um sie herum ein Teil dieser umfangreichen Verwandtschaft, v. li. n. re.:
Ruth aus Genf, die Cousine meiner Mutter.
Ihr Sohn, Jean-Pierre, hockt auf Urgrossmamas Schoss.
Neben Ruth ist meine Oma, Gertrud Julie Schneider-Auer. Sie war die jüngste Tochter von Johanna.
Neben ihr, mit 23 Jahren Altersunterschied, steht die älteste Tochter von Urgrossmama Johanna: Hanne (eigentlich ebenfalls Johanna).
Und neben Hanne steht Anita, die ältere Schwester meiner Mutter.
Und neben meiner Tante steht Reinhard, ihr Cousin.
Meine Mutter berichtet, sie habe Urgrossmama Johanna immer nur in langen Kleidern gesehen, und nie ohne Stock, da sie übergewichtig war. Ich bin also, bisher gänzlich unbewusst, nahezu ihr aktuelles Spiegelbild...! ;-)
Als sich ihre Kinder noch zu Lebzeiten um ihr grosses Erbe stritten, sass sie nur mitten im Raum und winkte lächelnd mit "Ja, ja" ab, wenn die Verwandten etwas unbedingt haben wollten.
Meine Mutter bekam eine Uhr von ihr, die sonst niemand wollte. Diese hat sie liebevoll restauriert. Obwohl sie kaputt ist, begann sie zwei Mal zu ticken: jedes Mal, kurz bevor jemand aus der Verwandtschaft oder dem nahen Umfeld starb!
Wir gedenken auch allen Verwandten, von denen wir kein Foto haben, z.B. Urgrossmamas Sohn Gusti (eigentlich Gustav): er wurde im Krieg eingezogen und musste an die russische Front. Als er zurück kehrte, hatte er abgefrorene Zehen und ein Kriegstrauma. Dennoch wurde er erneut eingezogen – und kehrte nie mehr zurück.
Genau wie Oma Gertrud gedenken wir auch Ernst Schneider, ihrem Ehemann.
An Oma Gertrud habe ich nur noch spärliche, sehr verschwommene Erinnerungen, die auf mich wenig positiv wirkten, da sie in meinen frühen Kindertagen bereits an starker Demenz litt. Sie kam bereits Anfang 60 in eine betreute Alterswohnung.
In jungen Jahren war sie eine wunderschöne Frau, mit leuchtend grünen Augen – darum haben mein Bruder und ich heute haselnussbraune Augen.
Gertrud war einerseits eine hochintelligente, studierte Frau, jedoch galt sie in praktischen Lebensfähigkeiten leider als äusserst unbeholfen. Ausserdem war sie stark religiös und vernachlässigte darüber nicht nur früh ihr eigenes Äusseres, sondern auch oftmals ihre beiden Töchter, die z.B. das Mittagessen nicht rechtzeitig bekamen, mit dreckigen Kleidern in die Schule mussten, nachts allein im Wald herum stolperten etc.
Oma kam praktisch nie irgendwo pünktlich an, da sie für alles viel Zeit benötigte.
Sie heiratete aufgrund ihres schwierigen Wesens sehr spät; ihr Mann schien ihr oftmals nicht gut genug (immerhin entstammte sie ja adeligem Hause), was sie auch an ihm ausliess. Dieser wiederum betrank sich im Kummer und entlud die Wut anschliessend mit unaussprechlicher Gewalt an seiner Familie, und auch an seinen Kindern, leider...
Jenseits des Frustsaufens war Opa jedoch ein fleissiger Mann.
Ich behaupte sogar, dass er, im Grunde, ein guter Mann war. Er war das Opfer einer tragischen Generation, die viel zu entbehren hatte, und ein Opfer widriger Umstände. Das entschuldigt seine Gewalttaten in keinster Weise!!! Dessen war er sich sogar selbst bewusst, als er, kurz vor seinem Tod, mit meiner Mutter eine stundenlange, versöhnliche Aussprache hatte. Doch es erklärt zumindest Einiges...
Opa entstammt ursprünglich dem Glarnerland, kam jedoch als Verdingbub ins Berner Emmental. Obwohl er dort entsprechend hart arbeiten musste, hatte er es dort besser als bei seiner eigentlichen Familie, mit der er nichts zu tun haben wollte. Trotz seiner körperlichen Gebrechen – er hatte ein versteiftes Bein, ein Netz hielt ihm den Magen zusammen, er verlor drei Finger in der Metallbaufabrik und durch einen Gewehrschuss im Kriegsdienst war er auf einem Ohr fast vollständig taub – arbeitete er im Akkord, kochte für seine beiden Töchter, steckte ihnen ab und an mal einen Fünfliber für die Chilbi zu, ging mit meiner Mutter beim Rheinfall fischen und kümmerte sich um seinen Wellensittich und um seinen belgischen Schäfer, der als Polizeihund ausgemustert wurde, weil er zwei Kommandos nicht richtig ausführen konnte. Opa konnte ausserdem Mundharmonika spielen.
Bildquelle zum Foto von Ätti Albert: Zürcher Unterländer (ursp. Neues Bülacher Tagblatt), U. Brandenberger, @WeiachBlog
Zur väterlichen Verwandtschaft weiss ich nicht sonderlich viel, bzw. leider nicht viel Positives... Die Familie meines Papis war mehrheitlich wohl das, was man heute als Inbegriff helvetischer Rednecks bezeichnen würde.
Schon in der Dorfchronik haben die "Zuslis" keinen guten Stand.
Ich lernte die Verwandtschaft meines Papis kaum kennen, da viele Familienmitglieder*innen verstarben, als ich noch sehr jung oder noch gar nicht geboren war.
Von meiner Mutter weiss ich, dass Ätti Albert Meier Sr. verstarb, als ich 10 Monate alt war. Zu meiner Taufe war er nicht eingeladen, da er sich standhaft weigerte zum Coiffeur zu gehen. Er war zwar ein herausragender Korbflechter war, jedoch war er wohl auch ein ungepflegter Choleriker, der mit Mensch und Tier absolut verachtenswert umging.
So stieg er schon mal über seine Katzen, die schäumend am Boden lagen, hinweg und meinte nur: "So vill Büsi giit wiider neui Chatze."...
Oder er entgegente seiner Frau, was sie sich denn ein neues Kleid wünsche, sie sterbe ja ohnehin bald...
Aus Kostengründen wurde übrigens auch meine Tante Anna aus dem Wohnheim in Regensdorf nach Hause geholt. Sie war geistig beeinträchtigt und litt an Epilepsie, weswegen mein Papi übrigens nicht zum Wehrdienst musste.
Tante Anna konnte in jungen Jahren lesen, jedoch wurde sie bei ihren epileptischen Anfällen weder betreut noch anschliessend gepflegt. Durch die vielen, ungebremsten Stürze verschlechterte sich ihr Zustand bald, und sie stank stark (gem. ihrem Bruder), wurde sie nach einem Epianfall einfach nur mitsamt dem eingenässten Rock zum Trocknen auf die Ofenbank gesetzt, statt frisch angezogen. Sie hatte vom Urin zerfressene Oberschenkel und wünschte sich entsprechend immer Pflaster, über die sie sich sehr freute. Ihre Miene wirkte oft finster und sie verstarb schliesslich unter derart traurigen Umständen, dass sogar eine gerichtliche Obdukion vehement verhindert wurde...
Bis heute wird Tante Anna als blinder Fleck in der Familie in allen Dingen ausgeblendet. Durch die Grabschändung der Gemeinde (und ja, nichts Anderes hat man sich hier geleistet!), ist nicht einmal mehr ihre Ruhestätte vorhanden; sie existiert nur noch in wenigen Erinnerungen... Genau wie ihre Mutter, die sich erst aufs Alter hin zu emanzipieren lernte, hauptsächlich dank meiner Mutter.
Von meiner Urgrossmutter väterlicherseits weiss ich kaum etwas; nur, dass sie vom Baltisser-Clan abstammt, der es zu viel Geld brachte und deswegen im Oberdorf wohnte, quasi am anderen Ende des Dorfes.
(Wobei auch die Familie meines Papis nicht wenige Ländereien hatte; ihnen gehörte gefühlt das halbe Dorf, und sie besassen Kieswerk-Ertrag...)
Meine Oma, Anna Meier-Hirt, hatte vier Kinder:
Anna, meine Tante,
Albert Jr., mein Papi,
Fritz, mein Onkel, der als Einziger noch lebt,
und Walter "Wädi" Meier, der Ende April 2023 leider unerwartet verstarb. Wädi war wohl der Umgänglichste der drei Brüder; immer fröhlich, hilfsbereit und (für die Verhältnisse dieser Familie) ungewöhnlich klug. Er fehlt mir noch immer sehr... An der Hochzeit meines Papis war er Trauzeuge. Genau wie sein Bruder Fritz interessierte er sich sehr für Traktoren; er reiste sogar einmal zu den Fiat-Werken.
Da weder mein jüngerer Bruder noch ich Nachkommen haben, wir der Meier-Clan mit unserer Linie aussterben, da wir die einzigen Nachkommen der väterlichen Familie sind. Wir sind also, nicht nur rein klimawandeltechnisch bedingt, tatsächlich die "letzte Generation"...
Und apropos Umwelt: Auch meiner franziskanischen Familie soll heute ein Licht leuchten, für all jene Schwestern und Brüder in Christus, die bereits vorausgegangen sind.
Ganz besonders denke ich dabei an Monica Onofri, die in der Pfarrei ihrer Heimat Wädenswil sehr engagiert war, und die im Frühling 2023 ihr Versprechensjahr im dritten Orden begann, wenige Tage vor ihrer Heimkehr.
Der HERR gebe allen Verstorbenen die ewige Ruhe,
und das ewige Licht leuchte ihnen.
HERR, bitte lasse sie ruhen,
in Frieden.
Amen.