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Ap
Film-Tipp: Amen (2023)
05.04.2023 23:50

WARNUNG – dieser Beitrag enthält Spoiler!!!

Ich bin ein Mensch, der gute Filme so sehr schätzt, wie Andere vermutlich eine gute Flasche Wein.
Hätte nicht gedacht, dass ich so bald schon wieder mit einem neuen Streifen ankomme, hallt doch der Film um Leonard Cohen noch immer in meinem Alltag nach, musikalisch wie philosophisch...

Doch seit heute kann auf Disney+ der Film "Amen – ein Gespräch mit dem Papst" gestreamt werden.
In diesem Film tritt Papst Franziskus in den Dialog mit jungen Menschen aus verschiedenen Ländern und Gruppierungen ein. Vom Missbrauchsopfer zur ehemaligen, nun atheistischen Nonne, zu einer non-binären Person, bis zum Cam-Girl... Die Vielfalt in der Gruppe ist enorm. Und sie alle scheuen sich nicht, Papst Franziskus mit Fragen zu all jenen "heissen Eisen" zu konfrontieren, die wohl sehr viele Menschen (auch ausserhalb der Kirche) beschäftigen: Zölibat, Abtreibung, Geschlechtsidentität, moderne Technologien etc.

Mir fiel als Erstes der Humor von Papst Franziskus positiv auf. Sein Lachen.
Erst mit der Zeit realisierte ich zusätzlich: dieser Mann, der selbst derzeit nicht wenig zu leiden scheint, ist so engagiert den Menschen zu begegnen, dass er Schmerzen in Kauf nimmt.

Mir fällt auf, dass Papst Franziskus selten direkt auf Fragen antwortet, sondern dass jedes Wort gut abgewogen scheint. Manche Fragen fühlen sich als gar nicht beantwortet an, oder sie scheinen die Gesprächsteilnehmenden ratlos zurück zu lassen. Das irritiert im ersten Moment und erinnert mich irgendwie an das seichte Getue im politischen Weltgeschehen, doch es wirkt bei genauem Hinhören letztendlich eher auf mich, als nehme er dieses Aufeinandertreffen, diese Menschen und auch die Gesprächsthemen derart ernst, dass er sie nicht mit leichtsinnigen Worten zu behaften gedenkt, sondern möglichst umfassend und wohlwollend aufbauen will.

Mich beeindruckt besonders, wie Seine Heiligkeit die Konfrontation nicht scheut. Allein, dass dieses Treffen, mit all seinen Fragen, überhaupt stattgefunden hat – wow!!! Wo sonst findet eine derart ungeschönte, ungefilterte und beständige Selbstreflexion statt? Nirgends sonst, wenn wir ehrlich sind.
Die deutsche Regierung hält ihre Politik von einst scheinbar für erledigt, im Sport wird weiter munter verschwiegen, vertuscht und (auch in der Gesellschaft!) bewusst vergessen, von der örtlichen Politik und ihren aktuellen Finanzskandalen muss ich vermutlich gar nicht erst anfangen.
In der Kirche ist lange nichts perfekt, es gibt noch viel zu tun, doch sie ist zweifelsohne auf dem Weg und Veränderungen geschehen. Dieser Film ist ein weiteres Beispiel dafür!

So sehe ich dem Papst oft auch still beim Zuhören zu, und ich höre von ihm Sätze, dass er nicht versuche Anwesende umzustimmen, sondern dass er sie und ihre Position respektiere. Und er bestärkt sie verbal, auf ihren Wegen. Das schafft Augenhöhe und die christliche Gesinnung wirkt auf mich... glaubhaft. Gelebt!
Vom Eingestehen der Fehler in den eigenen Reihen, bis zur Akzeptanz von Brandbriefen und persönlichen Gegenständen mit hoher Symbolkraft.

Gleichzeitig schafft es Papst Franziskus, bei aller Akzeptanz, den Spagat zu den theologischen Inhalten der Kirche zu meistern: mit deutlichen Worten erläutert und vertritt er theologische Konzepte, wohl wissend, dass Widerstand in Kauf genommen werden muss.

Mir sind viele Kleinigkeiten aufgefallen und hängen geblieben:
Wie Seine Heiligkeit sein Kreuz berührt und anschaut. Wie Tränen fliessen. Wie Blicke ausweichen. Wie sich Münder verziehen. Wie Stimmen zittern. Wie Berührungen ausgetauscht werden.

Filmisch fand ich es ein angenehmes und interessantes Stilmittel, dass Einblendungen aus dem Alltagsgeschehen der Personen in die Unterhaltung eingestreut wurden, aber nicht dominiert haben.
Sie boten einen unaufgeregten, oft stillen, aber sehr eindrücklichen Einblick in die persönliche Entwicklung dieser jungen Menschen. Und sie hoben für mich hervor, wie schön bunt die Welt sein kann, in all ihren verschiedenen Facetten!

Letztendlich, auch wenn das sicher seltsam klingt: Hauptsächlich bleibt nicht nur das Wirken des Papstes selbst in meinem Inneren hängen, nein, fast noch mehr ist es die Dynamik dieser jungen Menschen, die mich zum Nachdenken bringt. Ich erachte ihre unterschiedlichen Perspektiven und ihre bewegten Lebensgeschichten als sehr, sehr wertvoll. Und letztendlich, so unterschiedlich diese Personen auch wirken mögen, so deutlich Spannungen im Dialog erkennbar waren, sie alle fanden an jenem Tag als eine Gruppe zusammen. Und sie alle begegneten einander mit Respekt, Höflichkeit und Achtung. Das finde ich, gerade angesichts dieser thematischen Brennpunkte, sehr stark!!! Es zeigt, dass geistige Reife nicht viel mit dem Alter zu tun hat, ebenso wenig, wie die jugendlich anmutende Leichtigkeit und Offenheit von Papst Franziskus.

Ich kann nicht mit allen Perspektiven gleich viel anfangen, als ein Individuum mit eigenen Tendenzen. Doch ich finde es wichtig und lehrreich, diesen Leuten und ihren Interaktionen zuzuhören, ihre andere Sicht der Dinge kennen zu lernen und mir vor Augen zu führen, dass sie da sind – und sie alle sind nicht minder wichtig, denn erst diese bereichernde Vielfalt macht die Kirche und auch die Gesellschaft erst möglich, denke ich.

Ich erachte den Film als inhaltlich sehr üppig und sehenswert!

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Himmlischer Ohrwurm ;-)