WARNUNG – dieser Beitrag enthält Spoiler!!!
Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich meine Mitmenschen nicht mit der (vermutlich) unsäglichen Angewohnheit nerve, dauernd vor mich hin zu singen oder zu summen. Der Kehlkopf scheint das einzige Instrument zu sein, das ich halbwegs beherrsche; für alles Andere fühle ich mich schlicht zu dumm, obwohl mein Interesse an vielen Dingen gross ist.
In der Grundschule spielte ich für kurze Zeit Blockflöte, seit Jahren steht eine elektronische Heimorgel ganz traurig und unbenutzt in meinem Zimmer herum.
Ich kann wohl besser altägyptische Hieroglyphen lesen, als Notenblätter, leider.
Leonard Cohen, ein Mann, der bis heute zu den grössten Dichtern aller Zeiten zählt, begann seine Musikkarriere hingegen recht spät, mit 32 Jahren – ein Jahr jünger, als ich es derzeit bin. Er spielte seine Werke selber, doch auch er konnte wohl zu Beginn keine Noten lesen. Das Lied, das noch immer ein ungebrochener Welthit ist, wurde anfangs vom Plattenlabel ernsthaft abgelehnt und als zu schwach verworfen.
Die Rede ist vom Lied "Hallelujah", das unzählige Male gecovert wurde, das unzähligen Hochzeiten Gewicht verlieh, und das sogar in der Popkultur Einzug hielt, wie an Konzerten, in Casting-Shows und in Hollywood-Filmen, vertont von oft namhaften Künstler*innen. Es ist ein Lied, das ein seltsames Eigenleben zu führen scheint und das tief im Kollektiv der Gesellschaft verankert scheint, obwohl es noch verhältnismässig jung ist.
Leonard Cohen verbrachte mehrere Jahre mit der Fertigstellung. Im Lauf der Zeit entstanden so an die 150 Verse für dieses Lied; kaum eine Version hat die gleiche Bedeutung, obwohl sie alle durchaus auch nicht unähnlich sind.
Cohen, der sich geistig zwischen den jüdischen Wurzeln und christlichen sowie buddhistischen Einflüssen bewegte, der oft im Weltlichen erschüttert schien von mancher Sinnkrise, wurde von seinem eigenen Werk durchs Leben begleitet, wie von einem Spiegel.
Im Grunde umschreibt "Hallelujah" einen Lobgesang Davids, doch es gibt auch zahlreiche, angepasste Versionen, sowohl von Cohen selbst, als auch von anderen Interpret*innen. Einerseits entstand so ein sakral klingendes Werk, das situativ aber auch nahezu vollständig weltlich und teilweise sogar sexualisiert wurde. Es wurde zum Ausdruck persönlicher Bedürfnisse, und fand doch immer wieder zum eigentlichen Ursprung zurück.
Noch läuft zu diesem eindrücklichen Werk und seinem Schöpfer eine bild- und tongewaltige Dokumentation in den Kinos.
Produzent*innen, Freunde und auch andere Künstler*innen kommen in diesem aufwendig recherchierten Streifen zu Wort, die Cohens Erbe durch ihre Erinnerungen noch lebendiger und mehrdimensionaler erscheinen lassen.
Die Dokumentation wirkt unaufgeregt, fast schon kunstvoll schlicht, und ist dennoch in ihrer Weise ein wahres Feuerwerk an Aha-Momenten.
Ich verliess den Kinosaal mit einer ganz neuen Perspektive zu einem Lied, von dem ich meinte, es bereits bestens zu kennen.
Und ich lernte noch viel mehr neue Lieder dazu!
Das Zeugnis eines bewegten, intensiven Lebens hat mein Inneres tief berührt.
Ich kann diese Dokumentation nur wärmstens empfehlen!!
Sie dauert ca. 118 Minuten, ist in Englisch mit deutschen Untertiteln einsehbar und wird beispielsweise noch im Zürcher Houdini-Kino gezeigt.
Freigegeben ist sie ab 16 Jahren.